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Ausschluss des nicht mit der Mutter verheirateten Vaters von der elterlichen Sorge bei fehlender Zustimmung der Mutter verfassungswidrig

Bundesverfassungsgericht

Beschluss vom 21.07.2010

Norm: Art. 6 Abs. 2 GG, § 1626a BGB, § 1671 BGB, § 1672 Abs. 1 BGB

Schlagworte:

Verfassungswidrigkeit von § 1626a BGB, gerichtliche Überprüfbarkeit der Übertragung der gemeinsamer Sorge nicht verheirateter Eltern zum Wohl des Kindes nötig, gemeinsame Sorge auch ohne Zustimmung eines Elternteils nicht zwangsläufig kindeswohlgefährdend, Übergangsregelung, Sorgerecht des nichtehelichen Vaters, fehlende Zustimmung der Mutter

Redaktionelle Zusammenfassung

Der nicht mit der Mutter verheiratete Vater eines im Jahre 1998 geborenen Kindes, der mit der Mutter lediglich wenige Wochen während der Schwangerschaft zusammen lebte, jedoch umfangreichen Umgang mit dem Kind pflegt, beantragte Anfang 2008 beim Familiengericht die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungs-rechts auf ihn selbst, nachdem er von Umzugsplänen der Mutter Kenntnis erlangt hatte. Darüber hinaus stellte er hilfsweise den Antrag, ihm das alleinige Sorgerecht für sein Kind zu übertragen oder zur Begründung der gemeinsamen Sorge die Zustimmung der Mutter gerichtlich zu ersetzen. Das Familiengericht wies die Anträge mit der Begründung zurück, dass eine Ersetzung der Zustimmung der Mutter zur gemeinsamen Sorge unterhalb der Schwelle des § 1666 BGB, also einer Kindeswohlgefährdung durch die Mutter, gesetzlich nicht vorgesehen ist. Die dagegen gerichtete Beschwerde wurde vom Oberlandesgericht als unzulässig verworfen. Der Vater hat erfolgreich Verfassungsbeschwerde eingelegt.

Das Bundesverfassungsgericht ist der Auffassung, dass der Gesetzgeber dadurch unverhältnismäßig in das Elternrecht des nicht mit der Mutter verheirateten Vaters eingreift, dass er den Vater generell von der Sorgetragung für sein Kind ausschließt, wenn die Mutter des Kindes ihre Zustimmung zur gemeinsamen Sorge mit dem Vater oder zu dessen Alleinsorge für das Kind verweigert, ohne dass ihm die Möglichkeit eingeräumt ist, gerichtlich überprüfen zu lassen, ob er aus Gründen des Kindeswohls an der elterlichen Sorge zu beteiligen oder ihm sogar die alleinige Sorge für das Kind zu übertragen ist.

Eltern, die zwar nicht miteinander verheiratet gewesen sind, jedoch aufgrund einer übereinstimmenden Sorgeerklärung gemeinsam das Sorgerecht ausgeübt haben, ist bei einer Trennung die rechtliche Möglichkeit eingeräumt, einen gerichtlichen Antrag auf Übertragung der Alleinsorge zu stellen und damit gerichtlich überprüfen zu lassen, ob die gemeinsame oder die alleinige Sorge dem Kindeswohl entspricht. Einem nicht mit der Mutter verheirateten Vater, der das Sorgerecht dagegen nie innegehabt hat, steht diese Möglichkeit nach § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB nicht offen. § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB verstößt daher gegen Art. 6 Abs. 2 GG.

Das Bundesverfassungsgericht hat offen gelassen, wie eine gesetzliche Neuregelung aussehen soll. Bis zum Inkrafttreten einer  solchen hat das Bundesverfassungsgericht jedoch eine Übergangsregelung getroffen. Danach können, ergänzend zur bisherigen Regelung des § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB, die die Begründung der gemeinsamen Sorge von Eltern nichtehelicher Kinder von der Abgabe gemeinsamer Sorgeerklärungen abhängig macht, die Familiengerichte den Eltern auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge oder einen Teil davon gemeinsam übertragen, soweit zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl entspricht. Der gewählte Prüfungsmaßstab hinsichtlich des Kindewohls soll sicherstellen, dass die Belange des Kindes maßgeblich Berücksichtigung finden, jedoch die Zugangsvoraussetzungen zur gemeinsamen Sorge nicht zu hoch angesetzt werden.

Als Grund für die Übergangsregelung hat das Bundesverfassungsgericht die sonst drohende Aufrechterhaltung  der Grundrechtsbeeinträchtigung von nichtverheirateten Vätern gesehen, die möglicherweise bei Inkrafttreten einer verfassungsgemäßen Regelung nicht mehr behoben werden könnte. Denn nach seiner Auffassung spielt der Zeitfaktor in kindschaftsrechtlichen Verfahren eine wesentliche Rolle, da sich mit zunehmendem Zeitablauf persönliche Bindungen eines Kindes verändern, so dass sich hierdurch möglicherweise im Faktischen Weichen neu stellen, die sich auf spätere Entscheidungen nach dem neu zu konzipierenden Recht auswirken könnten.

Auch hinsichtlich der Übertragung der Alleinsorge auf den Vater wird in Ergänzung von § 1672 Abs. 1 BGB bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung vorläufig angeordnet, dass das Familiengericht dem Vater auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge überträgt, soweit eine gemeinsame elterliche Sorge nicht in Betracht kommt und zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl am besten entspricht.

Diese Entscheidung im Original nachlesen

http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20100721_1bv…

Der VAMV befürwortet eine Antragslösung mit Kriterienkatalog. Er hat dazu einen Formulierungsvorschlag zur Neuregelung der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern und eine Bewertung der Ergebnisse des Vorgezogenen Endberichts vom 30.11.2010 des BMJ zum Forschungsprojekt "Gemeinsames Sorgerecht nicht miteinander verheirateter Eltern" veröffentlicht.