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Keine gemeinsame Sorge bei Gewalttätigkeit des Vaters gegen die Mutter

Bundesverfassungsgericht

Beschluss vom 18.12.2003

Norm: Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB

Schlagworte:

Elternrecht, gemeinsame Sorge, Gewalttätigkeiten des Vaters gegen die Mutter, tragfähige soziale Beziehung der Eltern, Anhörung beider Eltern im Sorgerechtsverfahren

Redaktionelle Zusammenfassung

Die Mutter des Kindes wurde während ihrer Ehe mit dem Vater des Kindes von diesem misshandelt. Der Vater wurde für diese Taten rechtskräftig verurteilt. Die Ehe wurde geschieden und die Sorge für das Kind der Mutter allein übertragen und unter anderem damit begründet, dass es der Mutter nicht zuzumuten sei, mit dem Vater über Sorgerechtsfragen zu kommunizieren.

Diese Sorgerechtsregelung wurde vom Brandenburgischen Oberlandesgericht aufgehoben und die gemeinsame Sorge wiederhergestellt. Hiergegen erhob die Mutter Verfassungsbeschwerde.

Die Mutter war in dem Verfahren vor dem Oberlandesgericht nicht angehört worden. Sie hatte einen Antrag auf getrennte Anhörung gestellt, der vom Oberlandesgericht nicht beschieden worden war. Zur mündlichen Verhandlung war sie nicht erschienen. Sie hatte ein Attest vorgelegt, wonach jede Begegnung mit dem Vater bei ihr mit einer starken Angst vor erneuten Gewalttätigkeiten einhergeht.

Das Oberlandesgericht stellte nach der Anhörung des Vaters fest, dass zwischen den Eltern offenbar ein Grundkonsens über die das Kind betreffenden Fragen bestünde. Die abstrakte Befürchtung der Mutter, es könne künftig auch einmal konträre Positionen geben, rechtfertige eine Aufhebung der gemeinsamen Sorge nicht. In diesen Fällen erscheine eine schriftliche Kommunikation möglich. Außerdem verweigere die Mutter zwar die Kontakte zum Vater, dies habe sie aber nicht daran gehindert, ihn in finanziellen Fragen zu kontaktieren. Außerdem beschäftigte sich das Oberlandesgericht mit der Frage, ob bei einseitiger Kommunikationsstörung die Erziehungsfähigkeit des nicht kooperationsfähigen Elternteils tangiert sei.

Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass die Entscheidung des Oberlandesgerichts die Mutter in ihrem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz verletzt.

Das Oberlandesgericht hat das Elternrecht der Mutter grundlegend verkannt. Es hat nicht beachtet, welche Anforderungen Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz an die Ausübung der gemeinsamen Sorge und an die Ausgestaltung des Verfahrens stellt.

Das Elternrecht aus Artikel 6 Absatz 2 Grundgesetz auf Pflege und Erziehung der Kinder dient in erster Linie dem Kindeswohl, welches zugleich oberste Richtschnur für die Ausübung der Elternverantwortung ist. Dabei setzt die gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung eine tragfähige soziale Beziehung der Eltern voraus, erfordert ein Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen ihnen und hat sich am Kindeswohl auszurichten. Insbesondere auch für den Fall, dass die Voraussetzungen für eine gemeinsame Wahrnehmung der Sorge fehlen, bedarf das Elternrecht der gesetzlichen Ausgestaltung. Dem dient § 1671 Absatz 2 Nummer 2 Bürgerliches Gesetzbuch, der bestimmt, dass einem Elternteil auf Antrag die alleinige Sorge zu übertragen ist, wenn zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf ein Elternteil dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Dabei gibt es auch von Verfassungs wegen keinen Vorrang der gemeinsamen Sorge gegenüber der alleinigen Sorge.

Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts hätte das Oberlandesgericht sich mit der Frage befassen müssen, ob bei den vorliegenden Begebenheiten eine Verständigung der Eltern über wichtige Sorgerechtsfragen überhaupt noch in einer Art und Weise möglich ist, die auch bei einer Meinungsverschiedenheit eine dem Kindeswohl dienliche Entscheidung gewährleisten würde. Die Feststellung des Oberlandesgerichts, die Mutter habe in finanziellen Fragen durchaus zum Vater Kontakt aufnehmen können, stuft das Bundesverfassungsgericht in diesem Zusammenhang als "befremdlich" ein, da es dabei um Kindesunterhalt und Schmerzensgeld für die begangenen Taten ging.

Die Erwägung des Oberlandesgerichts, dass die Erziehungsfähigkeit der Mutter in Frage gestellt wäre, sollte sie aufgrund der Misshandlungen ihre Fähigkeit, mit dem Vater zu kommunizieren, eingebüßt haben, stuft das Bundesverfassungsgericht als "nicht nachvollziehbar" ein.

Auch das vom Oberlandesgericht durchgeführte Verfahren ist laut Bundesverfassungsgericht nicht geeignet gewesen, eine möglichst zuverlässige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu erlangen. Das Oberlandesgericht hätte nicht nur den Vater, sondern angesichts der besonderen Umstände des Falles auch die Mutter persönlich anhören müssen.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts aufgehoben und an einen anderen Familiensenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts zurückverwiesen.

Diese Entscheidung im Original nachlesen

http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20031218_1bv…