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Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf einen Elternteil über Durchführung einer Schutzimpfung

Bundesgerichtshof

Beschluss vom 03.05.2017

Norm: BGB §§ 1628, 1687

Schlagworte:

Übertragung der Entscheidungsbefugnis, Schutzimpfung, Empfehlungen der STIKO, Kindeswohl, Angelegenheit von besonderer Bedeutung

Redaktionelle Zusammenfassung

Vorbemerkung:

Im Kontext der aktuellen pandemischen Situation aufgrund des sogenannten Corona-Virus ist diese Entscheidung des BGH von besonderer Bedeutung. Sie ist Grundlage von bereits zwei Entscheidungen des OLG Frankfurt von März und August 2021 zur Corona Impfung, zusammenfassend zu finden unter den Corona-FAQs Alleinerziehender https://www.vamv.de/faqs-zur-corona-pandemie-1/impfen.

Sachverhalt (Wortlaut des Beschlusses):

Der Antragsteller (im Folgenden: Vater) und die Antragsgegnerin (im Folgenden: Mutter) sind die gemeinsam sorgeberechtigten nichtehelichen Eltern ihrer im Juni 2012 geborenen Tochter. Diese lebt bei der Mutter. Zwischen den Eltern besteht Uneinigkeit über die Notwendigkeit von Schutzimpfungen für ihre Tochter. Sie haben wechselseitig die Alleinübertragung der Gesundheitssorge beantragt.
Der Vater befürwortet vorbehaltlos die Durchführung altersentsprechender Schutzimpfungen. Er sieht sich im Rahmen der elterlichen Gesundheitssorge verpflichtet, sein Kind grundsätzlich gegen Infektionskrankheiten impfen zu lassen, soweit Schutzimpfungen verfügbar seien und durch die Ständige Impfkommission am Robert-Koch-Institut (im Folgenden: STIKO) empfohlen würden. Die Mutter ist der Meinung, das Risiko von Impfschäden wiege schwerer als das allgemeine Infektionsrisiko. Nur wenn ärztlicherseits Impfschäden mit Sicherheit ausgeschlossen werden könnten, könne sie eine anlassunabhängige Impfung ihrer Tochter befürworten.

Das Amtsgericht hat dem Vater das Entscheidungsrecht über die Durchführung von Impfungen übertragen. Auf die Beschwerde der Mutter hat das Oberlandesgericht Jena es bei der Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf den Vater belassen, diese aber auf bestimmte Schutzimpfungen beschränkt.
Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Mutter ihr Anliegen weiter, ihr die alleinige Entscheidungsbefugnis in Bezug auf Schutzimpfungen zu übertragen.

Zusammenfassung:

Die Rechtsbeschwerde der Mutter ist ohne Erfolg geblieben. Nach § 1628 Satz 1 BGB kann das Familiengericht, wenn sich die Eltern bei gemeinsamer elterlicher Sorge in einer einzelnen Angelegenheit oder in einer bestimmten Art von Angelegenheiten, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, nicht einigen können, auf Antrag eines Elternteils die Entscheidung einem Elternteil übertragen. Erachtet das Familiengericht den gegenwärtigen Zustand als die bessere Konfliktlösung, reicht die Zurückweisung des Antrags. Ausschlaggebend für die Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf einen Elternteil ist, wessen Lösungsvorschlag dem Wohl des Kindes besser gerecht wird.

Durchführung von Schutzimpfungen keine alltägliche Angelegenheit

Zunächst hat der BGH festgestellt, dass die Entscheidung, ob ein Kind geimpft wird oder nicht, nicht schon in die Entscheidungsbefugnis desjenigen Elternteils falle, wo das Kind lebt. Dies betreffe nach § 1687 Abs. 1 BGB nur sogenannte Angelegenheiten des täglichen Lebens. Dem gegenüber sind Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung für das Kind von den Eltern nur im gegenseitigen Einvernehmen zu entscheiden. Alltägliche Entscheidungen werden definiert als häufig zu treffend und ohne schwer abzuändernde Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes. Danach seien Schutzimpfungen als Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung einzustufen. Denn es handele sich nicht um Entscheidungen, die häufig vorkommen. Vielmehr fiele die Entscheidung, ob ein Kind gegen eine bestimmte Infektionskrankheit geimpft werden soll, regelmäßig nur einmal an. Sowohl das durch eine Impfung vermeidbare und mit möglichen Komplikationen verbundene Infektionsrisiko als auch das Risiko einer Impfschädigung stellten im Falle ihres Eintretens nicht mehr änderbare Auswirkungen auf die Entwicklung dar. Dies belege die erhebliche Bedeutung.

Entscheidungsbefugnis für den sich an den STIKO-Empfehlungen orientierenden Elternteil

Maßstab für die Übertragung der Entscheidungsbefugnis in Angelegenheiten der Gesundheitssorge ist, welcher Elternteil das geeignetere Konzept habe, in der jeweiligen Angelegenheit eine kindeswohlkonforme Entscheidung zu treffen. Gemessen daran hat der BGH dem Vater die Entscheidungsbefugnis übertragen und darauf abgestellt, „dass der Vater Impfungen offen gegenübersteht und seine Haltung an den Empfehlungen der STIKO orientiert.“

Die Ständige Impfkommission (STIKO) sei ein beim Robert-Koch-Institut eingerichtetes sachverständiges Gremium nach dem Infektionsgesetzes und habe u.a. die Aufgabe, Empfehlungen zur Durchführung von Schutzimpfungen zu entwickeln. Impfungen dienten dem Wohl des Einzelnen und im Hinblick auf eine mögliche Erkrankung und in Bezug auf die Gefahr einer Weiterverbreitung dem Gemeinwohl. Impfungen hätten insofern einen Bezug zum Schutz des individuellen Kindeswohls, weil Kinder im noch nicht impffähigen Alter von der Impfung anderer profitierten.

Die Impfempfehlungen der STIKO seien von der Rechtsprechung des BGH bereits als medizinischer Standard anerkannt worden. Da vorliegend keine besonderen Einzelfallumstände zu berücksichtigen waren, wie z.B. individuelle Impfrisiken, habe das OLG allein auf die vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnisse zurückgreifen können. Ein eigenes Sachverständigengutachten sei daher nicht einzuholen gewesen.

Die von der Mutter vorgebrachten Einwände einer "unheilvollen Lobbyarbeit von Pharmaindustrie und der Ärzteschaft" habe das OLG zutreffend bereits als zu unkonkret eingeordnet und sei deshalb nicht zu eigenen Ermittlungen veranlasst gewesen.

 

Diese Entscheidung im Original nachlesen

https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsp…