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Gerichtliche Anordnung eines Wechselmodells

Bundesgerichtshof

Beschluss vom 01.02.2017

Norm: BGB §§ 1684, 1697 a; FamFG §§ 26, 159

Schlagworte:

 

Anordnung Wechselmodell, Umgangsrecht, Sorgerecht, Kooperationsfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit, Kindeswohl, Kindesanhörung

Redaktionelle Zusammenfassung

Vorbemerkung
Der BGH hat hier eine lange umstrittene Frage in Bezug auf das Wechselmodell geklärt.
Ein paritätisches oder echtes Wechselmodell bezeichnet die gleiche Aufteilung der Kinderbetreuung getrennt lebender Eltern. Im Gegensatz dazu handelt es sich um ein Residenzmodell, wenn bei einem Elternteil der Schwerpunkt der Betreuung liegt.
Ein Wechselmodell erfordert von den Eltern ein hohes Maß an Kommunikation über die alltäglichen Belange des Kindes und daher auch eine hohe Kooperationsfähigkeit. Daher wird dieses Modell vor allem von Eltern gelebt, die sich trotz einer Trennung gut abstimmen können. Die rechtliche Frage ist, ob es nach geltender Rechtslage möglich ist, auch gegen den Willen eines Elternteils ein Wechselmodell gerichtlich anzuordnen.
Diese Frage war bisher umstritten. Einerseits wurde vertreten, dies sei nach geltendem Recht gar nicht möglich. Andere wollen dies über eine sorgerechtliche Regelung möglich machen. Wieder andere sprechen sich für eine Regelungsmöglichkeit im Rahmen eines Umgangsverfahrens aus.

Aus der Entscheidung
Der BGH ist der Auffassung, ein Wechselmodell könne im Umgangsverfahren angeordnet werden.
Dies sei § 1684 Absatz 1 BGB zu entnehmen. Danach habe ein Kind das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil und es sei jeder Elternteil zum Umgang mit dem Kind berechtigt und verpflichtet. Gemäß § 1684 Absatz 2 BGB seien gerichtliche Anordnungen über Umfang und Art des Umganges möglich. Es gelte der Amtsermittlungsgrundsatz. Das bedeutet, das Gericht muss den Sachverhalt umfassend für den konkreten Einzelfall erforschen. Zudem sei das Verfahren nicht antragsgebunden. Das bedeutet, das Gericht kann auch Reglungen anordnen, die kein Elternteil beantragt hat. Entscheidender Maßstab sei das Kindswohl. Das Kind sei grundsätzlich anzuhören, § 159 Absatz 1 FamFG.
Eine Vorgabe, in welchem Umfang ein Umgang maximal angeordnet werden könne, enthalte das Gesetz nicht. Daher sei es vom Gesetzeswortlaut auch umfasst, durch Festlegung der Umgangszeiten beider Eltern die Betreuung des Kindes hälftig unter diesen aufzuteilen.
Der BGH hebt hervor, dass sich die gesetzlichen Regelungen zwar am Residenzmodell als am praktisch häufig vorkommenden Fall der Kinderbetreuung nach Trennung orientieren. Dies bedeute aber nicht, dass der Gesetzgeber ein Residenzmodell als gesetzliches Leitbild festlegen wollte.
Ein Streit über den Lebensmittelpunkt des Kindes sei regelmäßig im Rahmen eines sorgerechtlichen Verfahrens über das Aufenthaltsbestimmungsrecht auszutragen. Das spreche bei Bestehen des gemeinsamen Sorgerechts der Eltern jedoch nicht gegen die Anordnung des Wechselmodells im Wege einer Umgangsregelung. Die Frage, ob und wie ein Wechselmodell angeordnet werden könne, wenn ein Elternteil allein sorgeberechtigt sei, lässt der BGH offen.
Das BGB schreibe auch nicht die Festlegung eines hauptsächlichen Aufenthalts des Kindes vor.
Bei bestehender gemeinsamer elterlicher Sorge sei eine auf das Wechselmodell gerichtete umgangsrechtliche Anordnung jedenfalls vom Gesetz her nicht ausgeschlossen. Für die tatsächliche Ausübung der Sorge gelte auch beim Wechselmodell die Regelung in § 1687 BGB, wonach bei alltäglichen Angelegenheiten der Elternteil, bei dem das Kind sich gerade aufhält, entscheidungsbefugt ist. Meinungsverschiedenheiten der Eltern in Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung könnten im Wege von Anordnungen nach § 1628 BGB gelöst werden.
Ausschlaggebend für die Frage, ob die Anordnung des Wechselmodells entgegen dem Willen des anderen Elternteils in Betracht kommt, seien die Umstände des jeweiligen Einzelfalls.
 „Entscheidender Maßstab für die Regelung des Umgangs ist das Kindeswohl (Kindeswohlprinzip, § 1697 a BGB) unter Berücksichtigung der Grundrechtspositionen der Eltern. Ob im Einzelfall danach die Anordnung des Wechselmodells geboten sein kann, ist unter Berücksichtigung anerkannter Kriterien des Kindeswohls zu entscheiden. Als gewichtige Gesichtspunkte des Kindeswohls hat der Senat in Sorgerechtsfragen bislang die Erziehungseignung der Eltern, die Bindungen des Kindes, die Prinzipien der Förderung und der Kontinuität sowie die Beachtung des Kindeswillens angeführt.“
Diese sorgerechtlichen Kriterien seien auch für eine umgangsrechtliche Entscheidung zum Wechselmodell maßgeblich.„Ähnlich wie bei der gemeinsamen Sorge als paritätischer Wahrnehmung des Elternrechts … setzt die Kindeswohldienlichkeit des paritätischen Wechselmodells als hälftig geteilter Ausübung der gemeinsamen Sorge auch die Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Eltern voraus.“
Allerdings müsse zwischen den Eltern über die Betreuung des Kindes im Wechselmodell kein Konsens bestehen. Schließlich seien der Wille des Elternteils und das Kindeswohl nicht notwendig deckungsgleich. Wenn ein Elternteil ein nicht zu begründendes Vetorecht hätte, würde der Elternwille über das Kindeswohl gestellt.
 „Das Wechselmodell ist danach anzuordnen, wenn die geteilte Betreuung durch beide Eltern im Vergleich mit anderen Betreuungsmodellen dem Kindeswohl im konkreten Fall am besten entspricht.“
Ausgangspunkt ist dabei laut BGH der Grundsatz, dass der Umgang des Kindes mit beiden Elternteilen zum Wohl des Kindes gehöre, vgl. § 1626 III 1 BGB. Entscheidend sei allerdings, was im konkreten Einzelfall dem Kindeswohl entspreche. Der Gedanke des § 1626 III 1 BGB habe insoweit keinen generellen Vorrang gegenüber anderen Kindeswohlkriterien.
 „Beim Wechselmodell kommt hinzu, dass dieses gegenüber herkömmlichen Umgangsmodellen höhere Anforderungen an die Eltern und das Kind stellt, das bei doppelter Residenz zwischen zwei Haushalten pendelt und sich auf zwei hauptsächliche Lebensumgebungen ein- bzw. umzustellen hat. Auf Seiten des Kindes wird ein Wechselmodell nur in Betracht zu ziehen sein, wenn eine auf sicherer Bindung beruhende tragfähige Beziehung zu beiden Elternteilen besteht.“
Relevante Aspekte für die Beurteilung des Einzelfalls seien insbesondere der vom Kind geäußerte Wille, dem mit steigendem Alter zunehmendes Gewicht zukomme, die Frage, in welchem Umfang beide Elternteile schon zur Zeit des Zusammenlebens in die Betreuung des Kindes eingebunden waren, sowie das Vorhandensein geeigneter äußerer Rahmenbedingungen für das Wechselmodell, nämlich eine gewisse Nähe der elterlichen Haushalte und die Erreichbarkeit von Schule und Betreuungseinrichtungen.
Wichtig für das Funktionieren des Wechselmodels sei aber vor allem eine entsprechende Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Eltern. Es muss beiden Eltern klar sein, dass elterliche Kooperation und ein Grundkonsens in wesentlichen Erziehungsfragen unabdingbar für eine verlässliche Kindererziehung sind.
Daraus folge, dass ein paritätisches Wechselmodell bei einem erheblich konfliktbelasteten Elternverhältnis in der Regel nicht im Kindesinteresse liege. Das Kind sei dadurch bei einem Wechselmodell erheblich mehr belastet. Die Anordnung eines paritätischen Wechselmodells in der Hoffnung, die Kommunikations-  und Kooperationsfähigkeit der Eltern hierdurch erst herbeizuführen, verbiete sich.
Der BGH bemerkt noch, dass ein Wechselmodell jedoch zunächst auch versuchsweise angeordnet werden könne, insbesondere, wenn starke Bindungen des Kindes zu beiden Elternteilen bestehen. Dadurch würde in der Trennungszeit Kontinuität für das Kind gewahrt.
Der BGH hat das Verfahren an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Die Kindesanhörung war nachzuholen. Zudem muss das OLG noch tatsächliche Feststellungen zur Kindeswohldienlichkeit des Wechselmodells treffen und prüfen, inwieweit die Konflikte der Eltern überhaupt ein Wechselmodell zulassen, wobei hier insbesondere zu prüfen war, ob der Vater das Kindeswohl im Blick hat.

 

Diese Entscheidung im Original nachlesen

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